„Der Fall Pistorius“ und Nanotechnologie bei den Olympischen Spielen

Vor vier Jahren durfte Oscar Pistorius nicht an den Laufdisziplinen der Olympischen Spiele 2008 teilnehmen. Seine Prothesen wurden als bionische Beine beurteilt, die leistungsfähiger seien als „normale Beine“, wodurch er einen unfairen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten gehabt hätte. Die Entscheidung wurde später aufgehoben: Er durfte an den Qualifikationswettkämpfen teilnehmen, verfehlte aber die Qualifikationsnorm, sodass er letztendlich an den Paralympischen Spielen teilnahm, bei denen er drei Goldmedaillen gewann.

Oscar Pistorius, Source: Wikipedia


Die Geschichte um Pistorius schaffte es in die Nachrichten – aber war der „Fall Pistorius“ nur ein Einzelfall oder ist diese Geschichte nur die Spitze des Eisbergs? Man denke nur an die ganzen neuen Materialien und Technologien, die den Sportlern zu besseren Leistungen „verhelfen“ können. Ist Technologie nicht ein fester Bestandteil jeden Sports – auf die eine oder andere Weise? Und wenn ja, wo verläuft die Grenze zwischen dem, was „fair“ ist, und dem, was „unfair“ ist?
 
Während die Olympischen Spiele 2012 im kommenden Sommer näher rücken, gibt es bereits erste Meldungen von Sportlern mit einem neuen Typus von Schwimmbekleidung, die einen geringstmöglichen Materialwiderstand versprechen. Wir können aber auch mit neuartigen Schuhen, neuartigen Laufanzügen und sogar neuartigen Sonnenbrillen rechnen, die von den Sportlern getragen werden und nicht nur toll aussehen, sondern – was am wichtigsten ist – auch für bessere Leistungen sorgen sollen. In den letzten Jahrzehnten kamen innovative Technologien in Hülle und Fülle zum Einsatz, um leistungsfähigere Sportartikel zu entwerfen und herzustellen; und mit dem Aufkommen neuer Produkte geriet der schmale Grat zwischen dem, was „faire“ und „unfaire“ Ausrüstung ausmacht, zunehmend ins Wanken. Ein Beispiel, das für die gesamte Entwicklung steht: Ein Ganzkörper-Badeanzug wurde vom Schwimmsport-Dachverband FINA verboten, weil er aus Materialien hergestellt wurde, die sich förderlich auf „Schnelligkeit, Auftrieb und Ausdauer“ auswirkten. Heute schickt sich die Nanotechnologie an, die Türen zu einer Reihe neuer Möglichkeiten aufzustoßen, zu weitaus raffinierterer Dingen: Textilien mit integrierten Sensoren; Schuhe, die die Leistung des Athleten aufzeichnen und überwachen; Hautpflaster, die physiologische Parameter überwachen können. Wenngleich sich viele dieser Produkte noch im Laborstadium befinden, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass sie bereits in naher Zukunft Wirklichkeit sein werden. Und sobald es dazu kommt, werden wir es mit einem Haufen neuer Fragen zur „Fairness“ zu tun bekommen. Nur ein Beispiel: Wenn ein Athlet ein Hautpflaster trägt, das die Farbe ändert, sobald seine Dehydration einen kritischen Bereich erreicht, hat er dann einen unfairen Vorteil?
 

The Olympic Games


Es wird oft behauptet, dass es sich bei der Nanotechnologie um eine Schlüsseltechnologie handelt. Aber was ist, wenn sie der Schlüssel dazu ist, die Olympischen Spiele in eine Arena zu verwandeln, in der Sportler aufgrund der Sensoren gewinnen, die in ihre Kleidung integriert sind; aufgrund der Shirts, Schwimmkleidung, Hosen und Laufschuhe, die sie tragen; letztendlich also aufgrund der Menge an Technik, die sich ein Sportler leisten kann.
Bei den Olympischen Spielen treten Menschen gegeneinander an, um zu ermitteln, wer höher springen, schneller laufen und sich besser konzentrieren kann. Einer der Gründe, aus dem sie das tun, sind die die Zuschauer im Stadion, die herausragende Leistungen und neue Rekorde sehen wollen; genau deswegen ist Sport so beliebt. Es dürfte folglich kaum überraschen, dass wir uns bei dem Versuch, eine (bereits schwammige) Grenze zwischen dem zu ziehen, was im Sport als akzeptabel gilt und was nicht, mit sozialen und ethischen Fragen konfrontiert sehen; wobei wir letztlich zu definieren versuchen, was zu „besserer Leistung“ führt und was zu „Human Enhancement“ (Verbesserung des Menschen mit technischen Mitteln) führt. Es ist bekannt, dass in der Medizin bereits Nanomaterialien untersucht werden, um verlorengegangene oder beschädigte Funktionen wiederherzustellen, beispielsweise Nanomaterialien zur Regeneration von Knochen oder Neuronen. Was ist, wenn diese Behandlungsmethoden genutzt werden, um den menschlichen Körper zu verbessern? Wissenschaftler arbeiten beispielsweise bereits an miniaturisierten Steuergeräten für das Gehirn, um den Tremor von Patienten zu kontrollieren, die von neurologischen Erkrankungen betroffen sind. Was ist, wenn vergleichbare Geräte verwendet würden, um die Konzentration von Athleten zu steigern, die im Schießsport gegeneinander antreten? Oder stellen Sie sich folgende Situation vor: Eine Sportlerin beziehungsweise ein Sportler erleidet einen Unfall mit einem Trümmerbruch eines Knochens und wird mithilfe einer Knochenbehandlung geheilt, die sie bzw. ihn „besser als vorher“ macht – beispielsweise mit einem Knochenersatzmaterial, das stärker ist als gewöhnlicher Knochen. Sollten solche Sportler von der Teilnahme an den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden? Sollten Sie stattdessen an den Paralympischen Spielen teilnehmen?
 
Letzten Endes könnten die Olympischen Spiele zu einer Frage des Zugriffs auf die beste Technologie und fortschrittlichste medizinische Behandlung werden, um Menschen über ihre natürlichen Grenzen hinauswachsen zu lassen. In gewisser Weise geschieht dies bereits heute. Mit der Nanotechnologie könnte diese Problematik eine völlig neue Stufe erreichen, die eine Unterscheidung zwischen „natürlicher Leistung“ und „optimierter Leistung“ sehr schwer machen dürfte.

 
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